27.11.22 Osnabrück-Leeden – 19,2 km ( 480,4 km)
Ein recht grauer Tag. In Leeden, das weiss ich schon, wird mich ein kleiner und wohl sehr schöner Weihnachtsmarkt erwarten, denn davon hat Frau Wagner, die mich heute beherbergen wird, schon am Telefon sehr geschwärmt. In den Straßen ist es noch recht ruhig, Sonntag halt. Ich drifte in meinen Gedanken über Entfernungen ab.
Meinen ersten Camino lief ich 2010 und eben bis zum Kap Finisterre und das sind ca. 900 km. Der Weg führte durch große Städte wie Pamplona, Logroño, Burgos, León, Astorga. Nur damals haben mir diese Städtenamen noch nicht allzu viel gesagt. Die Städte, die ich jetzt durchlaufe, schon. In genau einer Woche werde ich, wenn alles nach Plan läuft, in Dortmund einlaufen. Und die Vorstellung – ich bin dann mal von daheim aus nach Dortmund gelaufen – finde ich dann doch schon ziemlich krass. Eine Strecke, die ich doch hin und wieder mal mit der Bahn fahre. Wenn ich im Nebenjob als Reisebegleiter unterwegs bin, starten oder enden diese Reisen für mich hin und wieder in Dortmund. Ca. 6 h Fahrzeit und jetzt laufe ich da gerade zu Fuß hin. WOW!! Das hat irgendwie für mich eine ganz andere Bedeutung als die Aussage: “ Hey, ich bin mal nach León gelaufen!”
Dortmund, Köln, Eifel, Trier…die Stationen in baldiger Zukunft, die nochmal eine etwas andere Bedeutung für mich haben…
Und überhaupt, wo werde ich wohl Weihnachten sein? Wo werde ich unterkommen?
Die Kennzeichnung des Weges oder eben die fehlende Kennzeichnung des Weges reißt mich aus meinen Gedanken. Und ich merke jetzt schnell, welch Luxus es doch war, besonders zwischen Bremen und Osnabrück gelben, großen und damit gut sichtbaren Pfeilen hinterherzulaufen. Wie es auch oft im Leben ist, manches weiß man tatsächlich erst so richtig zu schätzen, wenn es vorbei ist.
Und noch etwas fällt auf. Es gibt jetzt plötzlich Kreuze, die den Weg bzw. einen anderen Weg markieren. Entweder kleine Schildchen / Aufkleber weißes Kreuz auf schwarzem Untergrund oder eben mit weißer Farbe gemalte Kreuze auf Bäumen etc.
Normalerweise werden auf vielen Pilgerwege die “falschen” Wege mit Kreuzen markiert. Achtung Pilger! Das ist der falsche Weg!!!
Und immer wieder gibt es Stellen, an denen das Kreuz markiert, aber nicht die Muschel. Heißt stehen bleiben, Stöcke aus den Handschlaufen nehmen, Lesebrille auf und Buch aus dem kleinen Vorderrucksack raus kramen und dann die Stelle im Buch raussuchen/ finden, an der man sich gerade befindet und hoffen, dass es schlüssig ist, in welche Richtung man gehen muss. Heißt vor allem eins… raus sein aus dem Lauf-Rhythmus🥴 und falls Blessuren a den Füßen vorhanden, leichte Schmerzen beim wieder in Bewegung setzen.
Irgendwann frage ich Google, was es mit diesem besch…Kreuz auf sich hat. Aha, es ist der Westfälische-Friede-Weg von Osnabrück nach Münster, auch Weg der Friedensreiter genannt.
Zwischen diesen beiden Städten sind fünf Jahre lang die Gesandten der Rathäuser hin- und hergereist, um ein Ende des Dreißigjährigen Krieges zu erreichen. Aha! Aber ich finde noch nicht so ganz meinen Frieden mit diesen Kreuzen. Ich grummel noch vor mir hin, immer wieder. Liegt sicher auch an diesem grauen Wetter….
In Hasbergen gibt es an der Kirche ein Familienfest. Ich komme vorher mit einer netten Dame ins Gespräch und sie schickte mich direkt in Richtung Gemeindehaus mit Hinweis auf verschiedene Stände. Und so mache ich in diesem kleinen Städtchen eben beim Familienfest meine Mittagspause… passt ja auch, knapp 10 km liegen hinter mir. Und so’ne heiße Waffel aus dem Waffeleisen hat schon was. Auch am Waffelstand unterhalte ich mich mit der Waffelbäckerin über den Jakobsweg und das Pilgern und meinen Weg. Mal reden ist schon auch schön😊
Weiter gehts. Und inzwischen durch den Teutoburger Wald😊😊
Irgendwo am Wegesrand schon auch in Grundstücksnähe wartet fast schon eine verschmuste Katze auf mich, wir genießen beide.
Am Nachmittag erreiche ich mein Tagesziel Leeden. Frau Wagner begrüßt mich sehr herzlich und bringt mich ins Pilgerzimmer, dass auch wieder sehr Pilger-freundlich eingerichtet ist. Meine Augen erblicken die Fußbadschüssel und meine Füße tanzen vor Vorfreude Samba.. bildlich gesehen. Aber es war ein guter Tag in den neuen Schuhen😊🙏
Ein, zwei Stunden später mache ich mich mit Regenponcho bewaffnet auf den Weg zum
Weihnachtsmarkt. Frau Wagner hat nicht übertrieben, er ist wunderschön. Einfach individueller als die großen in den Städten. Einheimische Stände, leckeres Essen & Getränke zu sehr günstigen Preisen und viel Schönes Kunsthandwerk. Ich genieße die Atmosphäre und treffe mich dann noch mit Frau Wagner auf einen Eierpunsch. Und ein so tolles Gespräch über “Energie folgt der Aufmerksamkeit” 💫😍💫
Gemeinsam gehen wir im Regen nach Hause, denn das war es für mich für eine Nacht: ein Zuhause.